Der 26. November ist ein mäßig kühler Tag. Wir haben den Wanderfalkenhorst am Turm der Zwölf-Apostel-Kirche gereinigt, und meine Helfer beeilen sich, um pünktlich nach Hause zum Mittagsmahl zu kommen. Aber ich trödele noch ein wenig herum und entdecke ca. 2 cm große Schmetterlinge, die reglos an der südlichen Kirchenwand sitzen. Meine Zählung ergibt, dass sich über 50 Exemplare dieser Falter in Reichweite meiner Augen aufhalten. Unschwer kann ich sie als kleine Frostspanner (Operophtera brumata) bestimmen, aber dazwischen halten sich einige ca. 3 cm große Falter auf, die mir unbekannt sind und die ich deshalb auch nicht bestimmen kann. Bei Frostspannern haben nur die Männchen Flügel. Die Weibchen hingegen besitzen nur Flügelstummel und sind deshalb nicht flugfähig. Sie verströmen einen für Frostspannermännchen betörenden Duftstoff, den diese kilometerweit wahrnehmen und der sie in den kalten Nächten zwecks heißen Liebesspiels zu den Weibchen führt. Nur im Herbst, wenn alle anderen Schmetterlinge auf die verschiedensten artspezifischen Weisen versuchen, die kalte Jahreszeit zu überstehen, erwacht bei den Frostspannern die Liebeslust und ein neue Frostspannergeneration wird gezeugt. Nach der Paarung legen die Weibchen bis zu 300 Eier, aus denen im Frühjahr gefräßige Raupen schlüpfen. Im Sommer spinnen die Raupen einen feinen Faden, an dem sie sich zum Boden abseilen. Dort verkriechen sie sich zum Verpuppen unter die Erde. Im Herbst verlassen sie als Falter die Puppe, um nur wenige Tage ohne Nahrungsaufnahme zu leben und um für Nachwuchs zu sorgen. Der eigentümlichen Fortbewegungsart ihrer Raupen und die Vorliebe der Falter für die kalte Jahreszeit haben diesen Schmetterlingen ihren Namen zu verdanken. Der gute Appetit der Raupen auf junge Knospen und frische Blätter und ihre große Anzahl kann an Obstbäumen, Eichen, Buchen, Ahorn und Hainbuchen zu Fraßschäden führen, von denen sich die Bäume jedoch bald wieder erholen. Mit Leimringen kann man zumindest die Obstbäume vor den Raupen schützen. Unseren Singvögeln kommen die Raupen während der Aufzuchtzeit als perfekte Kindernahrung gerade recht. Deshalb sollten in jeder Obstplantage recht viele Nisthilfen den Vögeln zur Verfügung stehen. Auch Schlupfwespen stechen die Raupen an und legen ein Ei in den Raupenkörper und verschaffen somit ihrem Nachwuchs einen lebenden Nahrungsvorrat. Ein Insektenhotel in einer Obstplantage ist als Schutzmaßnahme gegen Raupenfraß bestens zu empfehlen.
Übrigens, Herr Dr. Michael Ochse aus Weisenheim bestimmte den mir unbekannten Schmetterling auf meine Anfrage als “ Großen Frostspanner“ (Erannis defolaria).
Hermann, das ist ein toller Artikel. Er zeigt einmal mehr, wie genau Du die Umwelt wahrnimmst. Jetzt habe ich einiges dazu gelernt.
Danke!